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08.12.2022
Stellungnahme

Weiterentwicklung von Strukturen, Verfahren und pädagogischen Prozessen in der Pflegekinderhilfe

Mit den vorliegenden Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Pflegekinderhilfe will die Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter einen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung bundesweit vergleichbarer qualitativer Standards in der Pflegekinderhilfe leisten.

Diese Empfehlungen zur Pflegekinderhilfe wurden auf der 133. Arbeitstagung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter, 23. bis 25.11.2022 in Wiesbaden beschlossen. Sie wurden von Vertreter:innen der Landesjugendämter und kommunalen Jugendämter in der AG Pflegekinderhilfe erarbeitet und haben einen Gesamtumfang von 105 Seiten - darin enthalten ausführliche Hinweise und Anhänge. 

Aus dem Vorwort der Empfehlungen

Die Empfehlungen bieten zum einen schnelle und übersichtliche Orientierung in allen rechtlichen Fragen der Pflegekinderhilfe und zum anderen Orientierung zu qualitativen fachlichen Standards, die dazu beitragen, dass – trotz aller Unterschiede in der organisatorischen Ausgestaltung der Pflegekinderhilfe in den Kommunen – die Hilfe- und Unterstützungsprozesse für den jungen Menschen, die Familien und die Pflegefamilien bundesweit auf vergleichbaren fachlichen Grundlagen beruhen. Es sind die ersten Empfehlungen zur qualitativen Weiterentwicklung der Pflegekinderhilfe in dieser kompakten Form und mit Fokussierung auf alle relevanten Aspekte für die Gestaltung von Pflegeverhältnissen gemäß § 33 SGB VIII, die bereits die Neuregelungen des SGB VIII im Rahmen des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes beinhalten.

Aus der Einleitung der Empfehlungen 

Es bedarf eines am Kindeswohl ausgerichteten wirksamen Hilfesystems, in dem Familien gestärkt und junge Menschen vor Gefährdungen geschützt werden. Ein zentraler Gegenstand dieses Hilfesystems und der darauf bezogenen Weiterentwicklung ist die Unterbringung junger Menschen außerhalb ihrer eigenen Familie im Rahmen einer Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII.

Die Vollzeitpflege umfasst im Rahmen der Hilfen zur Erziehung im Wesentlichen die Komponenten Betreuung, Erziehung und Bildung. Vollzeitpflege ist eine Form der öffentlichen Jugendhilfe und wird nach § 33 SGB VIII als „Familienpflege“ verstanden und nach § 27 SGB VIII zur Erfüllung des Rechtsanspruchs auf Erziehungshilfe geleistet. Zusammen mit den Hilfen nach § 34 SGB VIII (Heimerziehung, sonst. betreute Wohnform) stellt die Vollzeitpflege im Vergleich zu den anderen Hilfen zur Erziehung eine Hilfe mit hohem Eingriffscharakter in das Familiensystem des betroffenen jungen Menschen dar und ist somit sehr voraussetzungsvoll.

Auf bundeseinheitlich geregelter Rechtsgrundlage im § 33 SGB VIII ist die Pflegekinderhilfe in Deutschland in der organisatorischen und finanziellen Ausgestaltung, der internen und externen Organisation sowie in der pädagogischen Arbeit sehr differenziert strukturiert und unterscheidet sich qualitativ deutlich von den anderen Formen der erzieherischen Hilfen:

  • betroffene Kinder sind in der Regel jünger,
  • die Hilfe dauert vergleichsweise deutlich länger an,
  • die Vollzeitpflege ist die einzige Hilfeform, die überwiegend in ehrenamtlicher Form durch Nicht-Fachkräfte erbracht wird – den Pflegefamilien.
  • Die Pflegekinderhilfe ist diejenige Hilfeform, die überwiegend vollständig von eigenen Diensten begleitet und abgewickelt wird.
  • Bei den in Pflegefamilien untergebrachten jungen Menschen findet sich im Vergleich mit allen anderen Erziehungshilfen der höchste Anteil an Eltern, bei denen ein vollständiger oder teilweiser Entzug der elterlichen Sorge vorliegt.
  • In der Pflegekinderhilfe findet sich bei den Familien der jungen Menschen höchste Anteil an Empfänger:innen staatlicher Transferleistungen.
  • Die Pflegekinderhilfe in Deutschland deckt fast die Hälfte der stationären Unterbringungen in den Hilfen zur Erziehung ab. Trotzdem fand sie über viele Jahre gerade im Hinblick auf wissenschaftliche Untersuchungen wenig Beachtung.

Unter dem Begriff Vollzeitpflege bzw. „familiale Unterbringung“ verbergen sich unterschiedliche Pflegeformen, die von der kurzfristigen Aufnahme eines jungen Menschen bis hin zur langfristigen Lebensperspektive reichen können. 

Die Empfehlungen bestehen aus zwei Teilen:

Der erste Teil bietet eine umfassende Orientierung über die gesetzlichen Grundlagen in der Pflegekinderhilfe. Ausgehend von den verfassungsrechtlichen Grundlagen werden dabei alle Aspekte, die es bei der Gestaltung der Pflegeverhältnisse zu berücksichtigen gilt, aufgegriffen. Hinzu kommen relevante Ausführungen zur Gestaltung der Vormundschaft, welche bereits die Regelungen des neuen Vormundschaftsrechts berücksichtigen.

Der zweite Teil beinhaltet fachliche Orientierungen für die Fachkräfte in der Pflegekinderhilfe. Ausgehend von den spezifischen Situationen, in denen sich der junge Mensch, die Familie und die Pflegefamilie befinden, werden diese im Hinblick auf die 5 Vgl. Home: Dialogforum Pflegekinderhilfe (dialogforum-pflegekinderhilfe.de) (letzter Aufruf 20.9.2022) 9 verschiedenen relevanten Verfahren und Prozesse, wie Hilfeplanung, Anforderungen an die Fachkräfte, Kooperation und Zusammenarbeit mit anderen Diensten und Leistungsträgern, dargestellt. 

Schlussbemerkung der Empfehlungen 

Die vorliegenden Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Strukturen, Verfahren und pädagogischen Prozesse in der Pflegekinderhilfe in Deutschland haben den Anspruch, fachliche Orientierung für alle Fachkräfte im Bereich der Pflegekinderhilfe zu bieten. Wie auch andere Bereiche der Hilfen zur Erziehung und weitere Handlungsfelder in der Kinderund Jugendhilfe ist die Pflegekinderhilfe gekennzeichnet von dynamischen Veränderungsprozessen – nicht nur gesetzliche Neuregelungen allein beeinflussen ihre weitere Aus- und Umgestaltung. Vielmehr bilden sich gesamtgesellschaftliche Entwicklungen in den Verfahren und Prozessen ab und haben ihrerseits Einfluss auf gesetzgeberische Prozesse indem es zum Beispiel dazu kommt, dass gängige Fachpraxis im SGB VIII normiert wird oder veränderte Grundhaltungen – z.B. zur Rolle des jungen Menschen, zu seinen berechtigten Ansprüchen und Rechten – Eingang in die gesetzlichen Grundlagen finden. So kennzeichnet die gesetzliche Normierung von Beteiligungs- und Teilhaberechten und die Betonung der Subjektstellung aller jungen Menschen einen Paradigmenwechsel in der Kinder- und Jugendhilfe sowie den angrenzenden Hilfe- und Unterstützungssystemen. Derartige Dynamiken und Veränderungsprozesse bedingen, dass Empfehlungen wie die vorliegenden immer als Teil eines übergreifenden kontinuierlichen Fachdiskurses verstanden werden müssen. Die AG Pflegekinderhilfe der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter möchte alle Fachkräfte in den Jugendämtern und den Pflegekinderdiensten dazu ermuntern, diese Empfehlungen einerseits sowohl als Orientierung für ihr fachliches Handeln zu nutzen als auch als Grundlage für die Weiterführung des fachlichen Diskurses und die Auseinandersetzung über die besten Wege und Möglichkeiten, Pflegekindern ein gutes und sicheres Aufwachsen zu ermöglichen. 

Die Empfehlungen zur Pflegekinderhilfe der BAG-Landesjugendämter können Sie auf der Website Empfehlungen der BAG unter Nr. 158 einsehen und als pdf-Dokument  herunterladen. 

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