Sie sind hier
FASD und Übergänge - Wie wichtig Austausch, Wissen und Kooperation sind
Themen:
Hier geht es um Mattis* aus Süddeutschland. Mattis ist mittlerweile 15 und echt richtig cool. Er lebte bis vor gut einem Jahr in einer Pflegefamilie, die auf Grund seiner FASD, Bindungsstörung und das erlebte Trauma, vor allem aber auf Grund mangelnder Unterstützung und Begleitung, einen Verbleib in der Familie nicht weiter leisten konnte und wollte. Sie wollten aber selbstverständlich weiter seine Familie sein. Schließlich lieben sie Mattis und er ist Teil ihrer Familie. Ziemlich allein gelassen machte sich die Familie auf die Suche nach einer geeigneten Einrichtung. Nach einigen Gesprächen, an denen Mattis natürlich beteiligt wurde und auch einer Besichtigung, entschied man sich gemeinsam für eine relativ kleine Heimeinrichtung. Mattis zog um und sollte sich eingewöhnen. Die Familie hielt den Kontakt und war trotzdem erleichtert und konnte ersteinmal etwas zur Ruhe kommen. So war der Plan. Leider eskalierte die Situation schneller als allen lieb war. Die Heimeinrichtung konnte die engmaschige Betreuung nicht leisten. Ebenso kollidierte das pädagogische Konzept mit den Bedürfnissen eines von FASD betroffenen Jungendlichen. Mit viel Glück fand man eine andere Einrichtung, die sich als deutlich flexibler und auch im Hinblick auf die Mitwirkung der Pflegefamilie kooperativer zeigte. Zwischenzeitlich hatte die Pflegefamilie auch die Vormundschaft für Mattis übernommen.
Mattis ist bereits seit einigen Jahren auf ein Medikament eingestellt, welches es ihm erleichtert, sich zu konzentrieren und auch seine aggressiven Spitzen abmildert. Dieses Medikament ist ihm aus einer FASD-Ambulanz verordnet worden und wird mit gutem Erfolg bei gleichzeitig geringen Nebenwirkungen häufig bei FASD eingesetzt. Er kommt damit sehr gut zurecht und für alle sind auch die Familienwochenenden und Ferienzeiten angenehm und von gemeinsamen positiven Erlebnissen geprägt.
Mattis kommt in der Einrichtung recht schnell mit Alkohol, Zigaretten und auch Canabis in Kontakt und möchte einfach ein cooler Teenager ohne Behinderung sein. Eines Tages verweigert er die Einnahme des Medikaments. Die Pflegefamilie wird informiert und die Pflegemutter teilt mit, dass er das Medikament unbedingt benötigt und sie erklärt sich auch bereit, mit Mattis zu sprechen und ihn von der Dringlichkeit der Einnahme zu überzeuge. Sie weigert sich, Mattis ohne Medikamente über das Wochenende zu sich zu nehmen, da sie genau weiß, wie sehr Mattis ohne das Medikament auf Veränderungen reagiert und er nicht in der Lage wäre, das Wochenende für sich und alle anderen positiv zu erleben. Er nimmt es erstmal ein und die Einrichtung vereinbart einen Termin bei dem von der Einrichtung für gewöhnlich konsultierten Kinder- und Jugendpsychiater. Der nimmt den Wunsch von Mattis sehr ernst und entscheidet gemeinsam mit der Sozialarbeiterin der Einrichtung, dass Mattis ab sofort erst einmal 4 Wochen ohne Medikation verbringen soll. Schließlich kenne er ja überhaupt kein Empfinden mehr ohne den Einfluss von Medikamenten und das wäre nun wichtig. Der Sozialarbeiterin gab er noch mit auf den Weg, dass man jetzt bitte das pädagogische Handeln entsprechend auf Mattis abstimmen solle, während er ohne Medikament ist. Mattis teilte seiner Pflegefamilie die neuen Erkenntnisse und Entscheidungen freudig mit und die Familie war aus verschiedenen Gründen alles andere als begeistert.
Was war passiert? Abgesehen davon, dass diese Entscheidung, mit einer nicht zu unterschätzenden Tragweite, gar nicht ohne die Inhaber der gesundheitlichen Sorge hätte getroffen werden dürfen, ist hier auch eine Möglichkeit für Mattis entstanden, sich der für ihn und seine Teilhabe nötige medikamentöse Unterstützung zu entziehen. Und das Ganze mit der Absolution des Mediziners. Das Resultat ist nun, dass er ohne Medikamente so extrem unangepasst und auch straffällig geworden ist, er die Schule verweigert und sein Verbleib in der Einrichtung akut gefährdet ist. Er konsumiert jetzt regelmäßig Canabis, verkauft es und ist kaum noch zu erreichen.
Dieses (reale) Beispiel zeigt sehr deutlich, wie wichtig die Absprachen, der Respekt und das Wissen um die Besonderheiten von FASD aller Akteure im Helfernetzwerk sind und das bereits kleinste Abweichungen für die Betroffenen der Fall ins Bodenlose bedeuten können. Es braucht ein Dorf! Idealerweise ein Dorf, in dem alle die FASD-Sprache sprechen.